* 49 *

49. Heimkehr
Truhe

An diesem Abend saßen Jenna und Septimus zusammen an dem Strand, der jetzt wieder ihrer war, und zwar etwas abseits von den anderen, die sich um ein loderndes Feuer geschart hatten und angeregt unterhielten. Jenna hatte darauf bestanden, dass Septimus ihr alles erzählte, was geschehen war, und er war soeben zum Ende gekommen.

»Weißt du, Sep«, sagte sie, »wenn Königin sein bedeutet, dass man immer zusehen muss, wie die anderen alle möglichen Sachen machen, dann will ich, glaube ich, keine werden. Du und Beetle, ihr dürft aufregende Dinge tun, mit dem Dschinn, in den Eistunneln, mit Schlitten, und ich muss herumsitzen und höflich zuhören, wie Milo redet und redet. Mit Nicko und Snorri war es nicht viel besser – die reden die ganze Zeit nur von Booten.«

»So toll war es in den Eistunneln auch wieder nicht«, sagte Septimus. »Glaub mir.« Er hob den Kopf und sah den Bananenmann aus den Dünen auftauchen. »Na endlich, da kommt Jim Knee. Entschuldige mich, Jenna. Ich muss mit ihm reden.«

»Nur zu, Sep«, erwiderte Jenna. »Ich weiß, dass du wichtige Dinge zu tun hast.«

»Du kannst doch mitkommen, Jenna. Ach nein, er soll zu uns kommen. Jim Knee!«

Jim Knee kam herübergeschlendert. Sein Donut-Hut schwankte beim Gehen bedenklich. »Du hast gerufen, oh Sitzender?«

»Hast du es getan?«, fragte Septimus gespannt.

»Es war ein schwerer Kampf«, antwortete er, »aber ich habe gesiegt.« Der Dschinn lächelte. Das Leben mit seinem Meister war längst nicht so langweilig, wie er befürchtet hatte. »Wir kennen uns schon lange, die Sirene und ich. Ein kleiner Sieg meinerseits war überfällig.«

Septimus hatte mit einem Schlag überall Gänsehaut. Er begriff, dass er mit einem sehr alten Wesen sprach. »Vielen Dank, Jim Knee«, sagte er. »Vielen Dank. Du bist... unglaublich.«

Jim Knee verbeugte sich. »Ich weiß«, sagte er und reichte Septimus die kleine Silberphiole, die Syrah ihm für Feuerspei gegeben hatte. Sie war eiskalt.

Behutsam nahm Septimus die Phiole zwischen Daumen und Zeigefinger und hielt sie am ausgestreckten Arm von sich weg. »Ist sie versiegelt?«, fragte er.

»In der Tat, oh Umsichtiger. Wäre das alles? Ich könnte jetzt nämlich ein Nickerchen vertragen. Das war vielleicht ein Tag.«

»Nein, das wäre noch nicht alles«, sagte Septimus in Erinnerung daran, dass er seinem Dschinn, so dankbar er ihm auch sein mochte, streng erscheinen musste und nicht, um mit Beetle zu sprechen, wie ein Schwächling.

»Was wünschst du denn noch, oh Ermüdender?«

»Drei Dinge, um genau zu sein.«

»Drei, oh Unersättlicher? Ist dir bewusst, dass drei die höchste Zahl von Wünschen ist, die man zu irgendeiner Zeit aussprechen darf?«

Septimus war sich dessen nicht bewusst, wollte es aber nicht zugeben. »Drei. Nummer eins: Ich befehle dir, mir keine albernen Namen mehr zu geben.«

Jim Knee seufzte. »Na schön, alles Gute muss einmal ein Ende haben. Dein Wunsch ist mir Befehl, oh Erhabener – so darf ich dich doch nennen, oder etwa nicht? Das ist die übliche Anrede bei den Dschinn. Es sei denn natürlich, du bevorzugst eine andere.«

»Ich glaube«, sagte Septimus und sann darüber nach, »ich würde Lehrling vorziehen. Das bin ich nämlich.«

»Nicht Oberlehrling, Sep?«, neckte ihn Jenna.

»Kannst du dir vorstellen, wie das aus seinem Mund klingen würde, Jenna? Nein, Lehrling ist schon in Ordnung.«

Jim Knee klang enttäuscht. »Sehr wohl, oh Lehrling.«

»Ich sagte Lehrling, nicht oh Lehrling.«

»Sehr wohl, Lehrling.«

»Nummer zwei. Ich befehle dir, dich so schnell wie möglich zum anderen Ende der gefrorenen Dschinn-Krieger-Schlange zu begeben. Ich möchte wissen, ob sie die Burg erreicht haben. Wenn sie die Burg erreicht haben, sollst du der Außergewöhnlichen Zauberin berichten, was geschehen ist.«

Normalerweise hätte der Dschinn jetzt eingewandt, dass dies streng genommen zwei Wünsche seien, doch er hatte das Gefühl, dass er sich damit auf dünnem Eis bewegte. Er hatte seinen Teil der Abmachung, der er seine Befreiung aus der versiegelten Zelle verdankte, noch nicht ganz eingelöst. »Der Außergewöhnlichen Zauberin, oh Erhab... äh ... Lehrling?«

»Ja. Du findest sie im Zaubererturm. Sag ihr, dass ich dich geschickt habe.«

Jim Knee wurde verlegen. »Ach«, sagte er, »das erinnert mich an etwas. Sie hatte mich gebeten, dich zu suchen und eine Art Schlüssel zu holen, um ... äh ... irgendwelche Tunnel zu versiegeln. Hab ich in all der Aufregung ganz vergessen. Kann ich das jetzt nachholen?«

Septimus traute seinen Ohren nicht. »Marcia hat dich gebeten, die Tunnel zu versiegeln? Aber ich verstehe nicht – woher hat sie davon gewusst? Und wie um alles in der Welt hast du Marcia getroffen?«

Jim Knee blickte verschmitzt. »Wir sind uns ganz zufällig begegnet. Soll ich jetzt gehen?«

»Ich bin noch nicht fertig. Mein dritter Wunsch ist, dass du alle Dschinn wieder in ihre Röhren sperrst.«

Jim Knee stöhnte. Er hatte damit gerechnet, aber das machte es nicht leichter. Seit seiner Zeit als Sklave in den Ställen des König Augias hatte sich der Dschinn nicht mehr einer solchen Herkulesaufgabe stellen müssen – und er bezweifelte, dass Herkules auch diesmal auftauchen und ihm helfen würde.

»Dein Wunsch ist mir Befehl, Lehrling«, sagte Jim Knee und verbeugte sich so tief, das der Donut-Hut herunterfiel. Er schnappte ihn, setzte ihn sich wieder auf den Kopf und schritt, seine ganze Würde zusammennehmend, von dannen.

Jim Knee ging zu dem ersten Krieger, den er eingefroren hatte. Die Ebbe hatte eingesetzt, und die über zwei Meter lange gepanzerte Gestalt lag mit dem Gesicht nach unten im nassen Sand, die Arme von sich gestreckt, die Streitaxt halb unter Sand begraben, Seegras am Schild und an den silbernen Flügeln des Helms. Beim Anblick der Abdrücke, welche die Scheren der Gespensterkrabbe an der ungeschützten Ferse hinterlassen hatten, gestattete sich Jim Knee ein verhaltenes Lächeln. Er war froh, dass die Dschinn-Krieger ihn nicht hatten kommen sehen, denn sie hätten ihn als das gesehen, was er wirklich war – eine ungestüme, weißäugige, kluge Frau von ungefähr fünfundzwanzigtausend Sommern, die irrigerweise, wie sie manchmal dachte, das Dasein eines Dschinn dem Leben als vierte Frau eines Schildkrötenhändlers vorgezogen hatte. Die Frau des Schildkrötenhändlers hatte einst das Pech gehabt, dem grausamen Krieger zu begegnen, dem sie geraubt worden war, und auf eine zweite solche Begegnung war Jim Knee nicht erpicht.

Es gab einen gelben Lichtblitz, und Septimus sah, wie sein Dschinn an der Reihe der gefallenen Krieger entlanghuschte und in den Dünen verschwand. Er zog Syrahs Buch aus der Tasche und blickte gespannt auf den Deckel. Dort stand jetzt:

Syrahs Buch
Herzlich zugeeignet dem Außergewöhnlichen Zauberer Julius Pike

Septimus lächelte – das Gekrakel der Sirene war verschwunden. Er sah am Strand entlang und ließ dann den Blick über die Dünen wandern.

»Geht es dir gut, Sep?«, fragte Jenna.

»Ja, danke. Sehr gut sogar.« Er spähte zum Hügel hinauf.

»Erwartest du jemand?«

»Na ja, ich ... oh, Mist«, murmelte Septimus vor sich hin.

Eine Gestalt hatte sich aus der Gruppe am Lagerfeuer gelöst und kam auf sie zu.

»Ach, hier seid ihr«, sagte Milo vergnügt und setzte sich zwischen sie. »Auftrag erledigt, Prinzessin.« Er lächelte Jenna stolz an. »Ich habe die Ratten eingesammelt, obwohl ich sie liebend gern auf dem Felsen dort zurückgelassen hätte. Wie du darauf kommst, dass die Cerys ihre Ratten wiederhaben muss, ist mir schleierhaft.«

Jenna grinste. »Sie werden in Port von Bord gehen. Ich werde dafür sorgen, dass sie abgeholt werden.«

Milo lächelte nachsichtig. »Genau wie deine Mutter. Immer ein geheimnisvolles Projekt am Laufen.« Er wandte sich an Septimus. »Und dir, junger Mann, kann ich gar nicht genug danken. Du hast meine kostbare Ladung gerettet.«

»Keine Ursache.« Septimus wirkte geistesabwesend.

»Und die Burg hat er auch gerettet«, sagte Jenna.

»Wie wahr, wie wahr. Das war wirklich ein raffinierter Trick.«

»Trick?«, rief Jenna entrüstet. »Sep hat keine Tricks nötig. Er ist wirklich mutig und klug. He, Sep, alles in Ordnung?«

»Ja... bestens«, antwortete Septimus und warf noch einmal einen Blick zu den Dünen.

Milo war es durchaus gewohnt, dass Menschen zerstreut wirkten, wenn er mit ihnen sprach. »Stellt euch vor«, sagte er, »stellt euch nur mal vor, wie anders alles gekommen wäre, wenn ich diese Armee schon vor Jahren gefunden hätte, damals, als ich mit meiner Suche begonnen habe. Du, Jenna, hättest bei deiner richtigen Mutter aufwachsen können und nicht bei irgendwelchen komischen Zauberern. Und du, Septimus, hättest diese kostbaren frühen Jahre, die man nicht mehr zurückholen kann, bei deinen richtigen Eltern verbringen können.«

»Sie meinen, bei den komischen Zauberern?«, fragte Septimus.

»Wie? Nein, nein, so habe ich das natürlich nicht gemeint. Nanu?« Milo sprang auf, froh über die Unterbrechung zur rechten Zeit. »Hallo. Und wer ist diese junge Dame?«

»Syrah!«, rief Septimus und sprang ebenfalls auf.

Milo bewies zur Abwechslung mal Einfühlungsvermögen. »Ich habe noch ein paar Dinge zu erledigen«, sagte er und eilte zurück zum Feuer.

»Hallo, Syrah«, grüßte Jenna ein wenig schüchtern.

»Prinzessin Esmeralda.« Syrah machte einen unbeholfenen Knicks.

Jenna warf Septimus einen fragenden Blick zu. »Nein, bitte, ich bin nicht...«

Septimus unterbrach sie. »Syrah, geht es dir gut?«

Syrah sah alles andere als gut aus. Sie war leichenblass. Die dunklen Schatten unter ihren Augen waren noch dunkler als sonst, und ihre Hände zitterten. »Ich bin ... ich glaube ... ich bin wieder ich.« Sie setzte sich unvermittelt hin und fing heftig am ganzen Leib an zu zittern.

»Jenna«, sagte Septimus, während er neben Syrah niederkniete, »könntest du bitte Wasser holen – und einen Wärmemantel.«

»Klar.« Jenna rannte davon.

»Septimus«, flüsterte Syrah, »die Sirene... ich verstehe es nicht... wo ... wo ist sie?«

Septimus streckte ihr die Hand hin. In seiner Handfläche lag die silberne Phiole, überzogen mit einer dünnen Eisschicht, die im Licht seines Drachenrings glitzerte.

»Hier«, sagte er. »Die Sirene ist hier drin.«

Syrah starrte die Phiole verständnislos an. »Da drin?«

»Ja. Hier drin versiegelt. Syrah, ich versichere dir, dass du die Sirene los bist. Für immer. Du bist frei.«

»Frei?«

»Ja.«

Syrah brach in Tränen aus.

Der Mond ging auf, und in der Ferne strahlten die beiden Lichter des Leuchtturms Katzenfels auf die ruhige See hinaus. Auf der Beobachtungsplattform drehte Miarr zufrieden seine Runde. Er blickte hinüber zur Insel, und als Milo noch einen Scheit aufs Feuer warf, sah Miarr, wie die Flammen in die Nacht loderten und die Menschen um das Feuer beleuchteten. Miarr lächelte und kaute auf einem getrockneten Fischkopf. Zum ersten Mal seit Miranos Verschwinden empfand er wieder inneren Frieden.

Auch am Strand war es friedlich, aber nicht ruhig. Das Feuer prasselte und knisterte von dem Salz im Treibholz, Menschen schwatzten, und Feuerspei schnüffelte und schnaubte. Septimus hatte beschlossen, ihn an den Strand zu verlegen, da es ihm schon viel besser ging. Er hatte das Gefühl, dass Feuerspei so ganz allein etwas unglücklich war. Jetzt lag der Drache, mit Eimer und verbundenem Schwanz, im weichen Sand direkt unterhalb der Dünen und blickte aus halb geschlossenen Augen ins Feuer. Er beobachtete, wie Beetle knapp außer Reichweite seiner Zunge Becher mit Fruchtblubber verteilte. Fauchend reckte er den Hals und versuchte, etwas näher zu kommen. Feuerspei liebte Fruchtblubber.

Wolfsjunge brachte Jenna, Beetle, Nicko, Snorri, Lucy und Jakey Dorfhäuptling bei, ein rasantes Spiel mit Muschelschalen, bei dem im Sand gebuddelt und viel geschrien wurde.

Septimus und Syrah saßen still dabei und sahen zu. Syrah zitterte jetzt nicht mehr und hatte sogar etwas von Jennas heißer Schokolade getrunken. Aber sie war sehr blass, und in dem hellroten Wärmemantel sah sie fast aus wie ein Geist, wie Septimus fand.

»Wie schön die Cerys im Mondschein aussieht«, sagte Syrah und schaute zu dem Schiff hinaus, das hell erleuchtet war, solange die Besatzung die beschädigte Takelage ausbesserte und alles wieder in Ordnung brachte. »Sie wird bald in See stechen können, nicht?«

Septimus nickte. »In zwei Tagen.«

»Septimus, ich weiß nicht, wie ich dir danken soll. Ich bin so glücklich – alle meine Wünsche sind wahr geworden. Weiß du, ich habe immer davon geträumt, mit Freunden aus der Burg hier an einem Lagerfeuer zu sitzen, und jetzt tue ich es.« Sie schüttelte verwundert den Kopf. »Und bald, sehr bald, werde ich Julius wiedersehen.«

Septimus holte tief Luft. Vor diesem Augenblick hatte er sich gefürchtet. »Äh ... Syrah, was Julius angeht, muss ich ...«

»He«, rief Wolfsjunge herüber, »habt ihr beiden keine Lust, Dorfhäuptling zu spielen?«

Syrah sah Septimus an, und ihre grünen Augen leuchteten im Schein des Feuers. »Ich erinnere mich an das Spiel. Ich habe es immer sehr gern gespielt.«

»Ja«, rief Septimus zurück. »Wir spielen mit.« Er würde die Sache mit Julius am nächsten Morgen ansprechen.

Aber es war nicht Septimus, der die Sache mit Julius ansprach, sondern Jenna. Spät in der Nacht, als das Rauschen der Wellen leiser wurde, die alten Straßen im Sand langsam wieder zu sehen waren und im Mondschein glitzerten und Wolfsjunge zum zweiten Mal Dorfhäuptling wurde, hörte Septimus, wie Jenna zu Syrah sagte: »Aber ich bin nicht Esmeralda, wirklich nicht. Das war vor fünfhundert Jahren, Syrah.«

Septimus war augenblicklich an Syrahs Seite. »Was meint die Prinzessin damit?«, fragte sie ihn.

»Sie ... Jenna meint, dass ... äh ... ach, Syrah. Es tut mir so leid, aber sie will damit sagen, dass du seit fünfhundert Jahren auf dieser Insel bist.«

Syrah sah ihn verständnislos an.

Septimus versuchte, es ihr zu erklären. »Syrah, du warst besessen. Und du weißt, dass jemand, der besessen ist, kein Zeitgefühl mehr hat. Sein Leben setzt so lange aus, bis er, wenn er Glück hat, von dem besitzergreifenden Geist befreit wird.«

»Willst du ... willst du damit sagen, dass in der Burg fünfhundert Jahre vergangen sind, seit ich das letzte Mal dort war?«

Septimus nickte. Alle schwiegen betroffen – selbst Milo war still.

»Dann ist Julius ... tot?«

»Ja.«

Syrah stieß einen langen, verzweifelten Klagelaut aus und sank in den Sand.

Sie ruderten Syrah auf die Cerys und legten sie in eine Kabine. Septimus wachte die ganze Nacht bei ihr, aber sie rührte sich nicht. Und als die Cerys in Richtung Burg in See stach, lag Syrah immer noch bewusstlos in der Kabine und sah unter den Decken so mager und hinfällig aus, dass Septimus manchmal den Eindruck hatte, dass da gar niemand war.

Drei Tage später legte die Cerys am Kaufmannskai in Port an. Die Stadtkapelle stimmte ihre übliche Katzenmusik an, und aus der am Ufer versammelten Menge erhob sich aufgeregtes Geschnatter. Es kam nicht alle Tage vor, dass ein so imposantes Schiff nach Port kam, noch dazu mit einem Drachen an Bord. Und ganz gewiss kam es nicht alle Tage vor, dass die Außergewöhnliche Zauberin sich zur Begrüßung eines Schiffes einfand.

Marcias Erscheinen hatte ziemlich viel Aufsehen erregt und wurde in der Menge ausführlich kommentiert.

»Sie hat schönes Haar, findest du nicht?«

»Sieh dir mal das Seidenfutter ihres Mantels an – muss ein Vermögen gekostet haben.«

»Aber diese Schuhe – also ich weiß nicht.«

»Ist die Alte neben ihr nicht die weiße Hexe aus den Marschen?«

»Oh, sieh nicht hin, sieh bloß nicht hin. Es bringt Unglück, wenn man eine Hexe und eine Zauberin zusammen sieht!«

Marcia lauschte den Kommentaren und fragte sich, was die Leute auf den Gedanken brachte, dass man taub wurde, wenn man die Robe einer Außergewöhnlichen Zauberin trug. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie eine vertraute Gestalt, die sich ganz hinten in der Menge herumdrückte.

»Ist das der, für den ich ihn halte?«, fragte sie Tante Zelda.

Tante Zelda war noch viel kurzsichtiger als Marcia und hatte keine Ahnung, wen Marcia meinte, aber sie wollte es nicht zugeben, und so sagte sie: »Möglich.«

»Das Problem mit euch Hexen ist«, erwiderte Marcia, »dass ihr auf eine klare Frage nie eine klare Antwort gebt.«

»Und das Problem mit euch Zauberern ist«, gab Tante Zelda barsch zurück, »dass ihr immer alles verallgemeinert. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden. Ich möchte nach vorn und mich vergewissern, dass Wolfsjunge auch wirklich wohlauf ist.«

Tante Zelda zwängte sich durch das Gedränge nach vorn, während Marcia rasch nach hinten ging, wobei die Menge sich respektvoll vor der Außergewöhnlichen Zauberin teilte.

Simon Heap sah sie kommen, wich aber nicht von der Stelle. Er würde auf keinen Fall von hier weggehen. Er wollte seine Lucy sehen und sie fragen, ob sie noch mit ihm zusammen sein wollte. Nicht einmal Marcia Overstrand konnte ihn daran hindern.

»Simon Heap«, sagte Marcia, als sie auf ihn zutrat. »Was tun Sie hier?«

»Ich warte auf Lucy«, antwortete Simon. »Ich habe gehört, dass sie an Bord sein soll.«

»Sie ist tatsächlich an Bord.«

»Wirklich?« Simons Gesicht hellte sich auf.

»Sie brauchen sich nicht hier herumzudrücken«, sagte Marcia.

»Verzeihen Sie, Marcia«, sagte Simon höflich, aber bestimmt. »Aber ich werde nicht gehen.«

»Das wollen wir nicht hoffen«, erwiderte Marcia und lächelte zu Simons Erstaunen. »Sie sollten nach vorn gehen. Sie wollen sie doch nicht verpassen.«

»Oh! Vielen Dank, das werde ich ... ja, das werde ich.«

Marcia sah ihm nach, wie er in der Menge verschwand. Plötzlich ertönte eine laute Stimme vom Schiff. »Marcia!« Milo hatte die unverwechselbare lila Robe entdeckt.

Das Fallreep wurde heruntergeklappt, und die Menge öffnete eine Gasse, um Milo durchzulassen, der in einer neuen Robe erstrahlte, dunkelrot und mit Gold besetzt, und darin eine imposante Figur abgab. Bei Marcia angekommen, machte er eine übertrieben tiefe Verbeugung und küsste ihr die Hand – unter den Hochrufen und vereinzeltem Beifallklatschen aus der Menge.

Jenna sah von der Cerys aus zu. »Er ist ja so was von peinlich«, stöhnte sie. »Warum kann er sich nicht wie ein normaler Mensch benehmen? Warum kann er nicht einfach ... in Ordnung sein?«

»Hör mal, Jenna«, antwortete Septimus, »Milo ist vielleicht nicht so ist, wie du ihn gern hättest, aber das heißt nicht, dass er nicht in Ordnung ist. Er ist schon in Ordnung, aber eben auf seine Weise.«

»Hmm«, brummte Jenna, nicht wirklich überzeugt.

Milo führte Marcia zur Cerys. »Kommen Sie an Bord. Ich muss Ihnen eine äußerst kostbare Fracht zeigen.«

»Danke, Milo«, erwiderte Marcia. »Ich habe alle Vorkehrungen getroffen, damit die kostbare Fracht unverzüglich in den versiegelten Raum im Zaubererturm gebracht werden kann, wo sie auf unbestimmte Zeit bleiben wird. Unser Mr. Knee hier wird sich darum kümmern.«

Milo schaute verblüfft. »A... aber ...«, stammelte er. Es gab einen gelben Blitz, einen leisen Knall, und der unverwechselbare Jim Knee nahm Gestalt an. Er verneigte sich vor Milo und schritt vergnügt das Fallreep der Cerys hinauf, wäre aber beinahe von Lucy Gringe umgerannt worden, die mit fliegenden Zöpfen heruntergesaust kam und »Simon! Oh, Simon!« rief.

Aus den hinteren Reihen der Menge drängten zwei Spätankömmlinge nach vorn.

»Silas, wieso kommen wir eigentlich immer zu spät?«, schnaufte Sarah. »Oh, sieh doch ... da ist er. Nicko, Nicko!«

Nicko stand oben auf dem Fallreep und hielt nach seinen Eltern Ausschau, die wiederzusehen er nun endlich bereit war. »Mom! Dad! Hallo!«

»Nun komm schon, Silas, beeil dich«, sagte Sarah.

»Ach du lieber ... oh, Sarah, er sieht so erwachsen aus.«

»Er ist älter geworden, Silas. Furchtbar viel älter, wenn man glauben darf, was so erzählt wird.«

Als der Trubel sich legte, stand eine Ratte auf dem Kai und hielt ein Schild hoch, auf dem stand:

RATTEN!
Seid ihr es leid, seekrank zu werden ?
Habt ihr genug von Schiffszwieback?
Genug von Rüsselkäfern?
Dann kommt in die Burg und werdet Botenratte!

BEWERBT EUCH AUF DIESE ANZEIGE.
FRAGT NACH STANLEY.

Und ausnahmsweise einmal machte die Ratte gute Geschäfte.

Septimus Heap 05 - Syren
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